Ruhig ist es morgens um 9 Uhr in der Wolfenbütteler Fußgängerzone. Auch auf der Langen Herzogstraße ist nur ab und an ein einzelner Passant unterwegs. Die ersten Geschäfte öffnen gerade erst. Aber Jörn Zeisbrich hat schon einige Arbeit hinter sich. Vor seine Weinhandlung „Barrique“ hat er ein großes Fass gestellt und daneben in einem kleinen mobilen Garten einen Weinstrauch platziert. Kisten und Kästen stehen vor dem Eingang. Flaschen mit Weinen und Ölen sollen die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden auf sich ziehen. Seit ein paar Tagen steht aber ein neuer Ständer mit einem Schild daneben. Auf dem Schild steht in großer Schrift die Frage „Barrique Wolfenbüttel schließt am 31.12. 22?“
Weinhandlung gibt es seit 23 Jahren
23 Jahre hat Zeisbrich die Weinhandlung mit Spirituosen und Feinkost-Angeboten an der Langen Herzogstraße betrieben. Nun will sich der 51-Jährige neuen Projekten widmen. Zum Jahresende sucht er einen Nachfolger, der die Franchising-Filiale der Ladenkette übernimmt. Zeisbrich ist optimistisch, dass das klappt. Ein paar Interessenten haben sich bereits bei ihm gemeldet, betont er. Die Frage nach dem Ende der Filiale hat er selbst auf dem Plakat schon vorsorglich mit „Nein“ beantwortet. Ob einer der Interessierten den Laden tatsächlich übernehmen wird, ist indes noch offen.
Erster Franchise-Nehmer
Zeisbrich macht keinen Hehl daraus, dass es ein harter Job ist – zeitintensiv und körperlich anstrengend. Und der Winnigstedter weiß, wovon er spricht. Als er 1999 anfing, war er der erste Franchise-Nehmer des damals jungen Hildesheimer Unternehmens Barrique. „Von den ersten zehn Händlern, die angefangen haben, bin heute nur noch ich übrig“, erzählt er. Einzelhandel sei eben schwierig. Man brauche eine Menge Durchhaltevermögen. Das Geschäft sei an sechs Tagen in der Woche geöffnet. Hinzu kämen Veranstaltungen und die Fahrten, um Waren an Kunden auszuliefern. Er habe oft 60 bis 70 Stunden pro Woche gearbeitet. Während der ersten Jahre habe er sogar häufig im Lager im ersten Stock des Geschäfts geschlafen. Kräftig zupacken müsse man im Einzelhandel. Die Kisten mit den Weinflaschen und die Ballons mit den Spirituosen seien schwer. „Ich will werben, aber auch warnen“, sagt er, während er von seinem Alltag erzählt.
Viel verändert in der Fußgängerzone
Seit er erstmals seinen Laden aufschloss, hat sich viel verändert in der Wolfenbütteler Fußgängerzone. Während der ersten Jahre habe es noch deutlich mehr Fachgeschäfte gegeben. Zudem habe Karstadt und später Hertie als Magnet gewirkt. Aber der Rückgang sei unverkennbar gewesen. Barrique habe alle zwei Jahre Kundenzählungen durchgeführt. „Die Tendenz war eindeutig. Es wurden immer weniger“, berichtet Zeisbrich. Auch damals schon hätten die Passanten geklagt. Es habe aber auch Kunden gegeben, die extra aus Braunschweig nach Wolfenbüttel gekommen seien, weil sie es hier in der Kleinstadt gemütlicher fanden. Und wenn man positive Resonanz haben wolle, müsse man nach wie vor nur den Touristen zuhören, die schwärmen, wie schön die Wolfenbütteler Altstadt sei.
Corona-Krise
Zeisbrich kämpfte sich mit seiner Weinhandlung auch durch die Corona-Krise. Er entwickelte Online-Getränke-Tastings und engagierte einen Mitarbeiter, der seine Angebote auf Facebook und in einem YouTube-Kanal präsentierte. „Das brachte viel Aufmerksamkeit“, sagt er rückblickend. Seit Corona liefere er deutlich mehr Waren zu Kunden nach Hause. Das mache mehr Arbeit, aber es sei auch förderlich für den Umsatz. Oft nähmen die Kunden dabei mehr Ware ab, als sie im Geschäft kaufen würden. „Wir haben es geschafft, uns durchzuhangeln, aber es war sehr kräftezehrend“, sagt der Unternehmer. Sein Geschäft habe die schwierigen Zeiten wohl nur überstanden, weil es auch eigene, regionale Produkte angeboten habe und so Stammkunden binden konnte.
Mit ganzem Herzen Weinhändler
Auch wenn es häufig um Probleme geht, wird im Gespräch schnell klar: Zeisbrich ist mit ganzem Herzen Weinhändler. „Eigentlich ist es für mich ein Traumjob“, sagt er: „Es ist eine Arbeit, in der ich Erfüllung finde.“ Trotzdem war nun die Zeit reif für etwas Neues.
Whisky aus Winnigstedt
Zeisbrich erzählt von gesundheitlichen Problemen in der Familie und von einem zweiten Standbein, das er sich vor fünf Jahren geschaffen habe: einem Bauernhof in Winnigstedt, auf dem er Whisky destillieren will. Erste Schritte in diese Richtung ist er schon gegangen. In einer großen Scheune lagert er Edelbrände, die in speziellen Fässern weiter reifen und so Geschmack und Farbe verfeinern. Verkostungen und Grill-Events bietet er dort ebenfalls an. Um selbst Whisky herstellen zu können, hat er an der Universität Hohenheim einen Lehrgang absolviert und ein Zertifikat erworben.
Wer Interesse hat, das Geschäft in der Langen Herzogstraße zu übernehmen, kann sich bei Jörn Zeisbrich melden. Eine Informationsveranstaltung hat er für Samstag, 13. August, 15 Uhr, geplant.
Autor: Kai-Uwe Ruf