20. Juli 2016
Konzert-Tipps

Mut zum Pathos

TÜSN spielt im Rahmen der "In Schwarzen Gedanken"-Tour" im Hallenbad Wolfsburg.

Im Oktober live in Wolfsburg zu erleben: TÜSN. Foto: Veranstalter / oh.

Das Berliner Trio TÜSN beweist Mut zum Pathos – und fasziniert eine wachsende Schar von Anhängern mit düster-pathetischen Indie-Pop mit deutschen Texten. Jetzt kommt die Band nach Wolfsburg – um das Publikum im Sauna-Klub des Hallenbads Wolfsburg am 20. Oktober heiß-kalt abzuduschen.

Seit ihrem ersten großen Auftritt bei dem „First We Take Berlin“-Festival im Oktober 2014 wächst die Fangemeinde von TÜSN rasant, bereits im Sommer 2015 konnte man sie auf diversen Festivalbühnen live erleben – unter anderem bei Rock am Ring und dem Melt! Festival. Im Februar dieses Jahres erschien schließlich ihr Debütalbum „Schuld“.

Mehr Substanz und weniger Glitzer

Um sich in Zeiten der Aufmerksamkeits-Ökonomie als junge Band wirkungsvoll zu präsentieren, bedarf es vielleicht doch mehr als kommunikativer Hyperaktivität. Mehr – und gleichzeitig weniger. Weniger Geklingel und Geschnatter. Mehr Substanz. Weniger Glitter, mehr Gehalt. Dem nicht versiegen wollenden Strom von Neuigkeiten, Nettigkeiten und Nichtigkeiten begegnen TÜSN mit einer bewussten Reduktion. Die drei Berliner machen sich rar. Ihr Netzwerk ist ein engmaschig gestricktes Bezugssystem, ein hermetisches Haus der Liebe ohne Spion. TÜSN sprechen nicht viel über sich, umso mehr sprechen andere über sie. Das soll ihnen recht sein. Die Band besteht aus Snöt, Thomas und Daniel. Ihre Instrumente sind Synthesizer, Bass und Schlagzeug. Für den ehemaligen Gitarristen Snöt liegt der Instrumentierung keine Entscheidung gegen sein altes Instrument zugrunde, vielmehr bot der Synthesizer und die Entdeckung neuer kreativer Spielräume eine Gelegenheit zur Weiterentwicklung als Band. Zudem begab sich der heutige Fan analoger Synthesizer auf eine dieser mythologischen Reisen ins Innere, die man bestenfalls aus der Weltliteratur kennt. Sein prägender, expressiver und manchmal auch exaltierter Gesang ist das Ergebnis von schonungslosen Experimenten mit der eigenen Körperspannung. Mehr gibt er nicht preis.

In einer Mischung aus angeborener Scheu und nahezu klassischer Wahrung von Distanz vermeiden es TÜSN generell, sich und ihre Musik im Detail zu erklären. Als kämen sie aus einer Hollywood-Ära, in der Stars noch keine Sternchen waren. Oder aus einem Utopia, in dem sich Kunst noch in ihrer vollen Rätselhaftigkeit präsentieren darf. So etwas gibt es natürlich nicht, nicht mehr. Aber etwas mehr Geheimnis, etwas mehr Fantasie, etwas mehr Freiraum wäre sicherlich für alle – für Künstler, Publikum und Medien – eine lohnenswerte Erfahrung. Wer das als Aufforderung verstehen möchte, findet in der Musik von TÜSN einen Zugang zum inneren Showroom. Die Musik schreit förmlich danach, für eigene Zwecke benutzt zu werden: Bitte jetzt interpretieren.

„Mach dich reich an mir, reich an mir, Verglüh mich grell bis der Raum zerfällt“. Während sich ihre erste Single „Schwarzmarkt“ noch mit der Eröffnung „Reden ist Silber, Tanzen ist Gold!“ einen selbstreferentiellen Scherz erlaubt, sendet das Video zum zitierten Song „Zwang“ schon deutlich ambivalentere Signale. In Szene gesetzt von Zoran Bihac (Rammstein, Grönemeyer, Die Fantastischen Vier), wird der Clip von den rauchigen Bildern eines bizarren Spektakels dominiert, halb Bondage-Performance, halb (Ent)Fesselungs-Ritual – die stoische Erscheinung der kraftvoll und höchst effizient aufspielenden Rhythmusgruppe, passend mit dem Schlagzeuger im Anzug, wird von Snöt als eine Art „Yellow King“ konterkariert. Hier deutet sich Ungeheuerliches an.

Mit TÜSN gibt es viel zu entdecken. „Schuld“ erschien, als die „Welt dafür bereit war“. Nun stellt sich die Frage: Ist Wolfsburg für die Berliner Band bereit?

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