„Zwischen Kulturkrieg und Megagehältern, zwischen Insolvenz und neuen Chancen, zwischen Kommerz, Kultur und Kunst“: In der Wortwahl zurückhaltend sind die beiden Berliner Musiker Ben Hartmann und Johannes Aue der Band Milliarden wahrlich nicht. Nach ihrer EP „Kokain und Himbeereis“ erscheint im August dieses Jahres ihr Album „Betrüger“. Am 28. Oktober stellen sie es im Eulenglück vor, vorab sprach szene38 mit ihnen im Interview.
Wie kam es zu Eurem Bandnamen? Und: Ihr setzt auf radikale Kontraste – eine bewusste Entscheidung?
Das Wort leuchtete in großen roten Graffiti Lettern an einem Theater. Die liebevollste Verortung der absurdesten Konstante unserer Zeit. Wo sind Milliarden wirklich erfahrbar? In der Kunst! Die Kulturnazis haben das aber nicht geschnallt. Sie regten sich lieber über die Verschmutzung ihrer altehrwürdigen Kunsthöhle auf. Wir verstehen Milliarden als die Überschrift unserer Zeit. In Zerfall und Chaos steckt der Aufbruch und der Reichtum. So lesen wir die schnelle globale Welt. Bei uns zu Hause ist es oft nicht anders. Da liegt auch Freiheit mit der Armut im Bett. Das alles natürlich sehr mitteleuropäisch und ungefährdet, klar. Gefahr und Sehnsucht ist nur der Rausch.
Titel wie etwa „Ende neu“ oder „Blitzkrieg Ballkleid“: Was reizt euch am Gegensatz?
„Ende neu“ ist ein Zitat. Die Sehnsucht, die darin brodelt verstehen wir. Die Stunde null ist für uns keine spielerische Konstruktion, sondern eher ein ehrlicher, laut gesagter Gedanke. Eine Bekenntnis zu morgen. Blitzkrieg Ballkleid ist dagegen heute. „Ich spiegle mich in deinem Gesicht, ich spiegle mich“ ist der Ausblick auf die Müllkippe und die große Liebe gleichzeitig. Beides hat eine wechselseitige Verantwortung für einander und ist Teil unseres Alltags. Ich glaube wir sind immer nur das, was wir sehen.
Wovon lasst ihr euch für eure Songs inspirieren? Welche Themen sind euch wichtig?
Inspiration ist wie gesagt der Film der jeden Tag läuft. Den spielen wir und erzählen davon. Das ist dann bestenfalls wie ein Jaques Audiard Streifen, in dem man die Liebe und den Aufbruch eigentlich riechen kann. Politisch ist das sowieso. Wenn’s schlecht läuft, sind wir nicht visionärer anders, als eine Küchengeräte-Verkaufssendung.
Preview zum Album „Betrüger“
Was wollt ihr bei euren Zuhörern auslösen? In den Texten, Titelnamen & Co. stecken ja reichlich Provokationen.
Ich finde es gut wenn Musik eine Fantasie geben kann und man hört sie, weil sie eine eigene Welt bedeutet. Wenn das passiert, ist wirklich was geschafft. Auf der anderen Seite sind wir davon überzeugt, dass man polarisieren muss. Denn ja, wie gesagt denken wir, dass im Widerspruch eine Kraft liegt. Sonst gibts keine Diskussion mehr. Nur Konsens. Und Konsens ist der Tod.
Ihr seid unterwegs zwischen Punk und Pop. Welchem Genre würdet ihr eure Musik selbst zuordnen?
Das können wir selber nicht genau sagen. Unsere Geschmäcker gehen auseinander. So entsteht auch der Spagat unserer Musik. Manchmal Rock, dann wieder Pop und Punk.
Was fasziniert euch so an der Arbeit als Musiker?
Das Live-spielen. Der Moment, wenn uns die Energie der Musik einholt. Da passiert etwas, dass süchtig macht.
Wie kam es, dass „Freiheit ist ne Hure“ der Titelsong des Films „Tod den Hippies, es lebe der Punk“ wurde?
Unser Song hat ein Ausschreiben für den Film gewonnen, dann rief X-Filme an und wir durften den Rohschnitt gucken. Wir haben uns sehr gut mit allen Machern verstanden und konnten als Kirsche auf der Sahne auf der Premierenfeier spielen.
Ihr habt euch bei der Aufnahmeprüfung für die Uni kennengelernt. Wo war das – und was ist jeweils aus dem Studium geworden?
Wir haben uns das erste Mal in Bochum getroffen. Ich habe dann dort studiert und Johannes in Berlin. Als wir mehr Zeit als nur die Wochenenden für die Musik brauchten, bin ich zurück nach Hause und habe in Johannes‘ Jahrgang weiter studiert. Danke nochmal UdK und Folkwang, dass das alles möglich war.
Was war eines der erinnerungswürdigen Dinge, die ihr bisher im Kontext eures musikalischen Schaffens erlebt habt?
Unsere Band ist das Moment, das wir hoch halten wollen! Die Augenblicke, wenn wir zusammen auf so große Bühnen wie Rock im Park gehen, sind unfassbar. Das vergessen wir nicht. Auch die Trauer, dass unser Auftritt einen Tag später am Ring ins Wasser viel, haben wir zusammen in Whiskey und Gras verdrängt. Genauso die kleinen Clubshows. Die Nähe der kleinen Bühnen und der Rausch der großen haben das selbe Adrenalin. Dafür machen wir das.
Auf der Bühne seid ihr voller Energie. Wie würdet ihr euch „privat“, also neben der Bühne, charakterisieren?
Schwer zu sagen. Das müssen andere machen. Das Einzige, was wirklich auffällt, ist, dass wir eine Gruppe sind, in der jeder in seiner Eigenheit vorkommt. Das ist glaube ich wichtig, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt.
Ihr seid auf „Betrüger“-Tour – passend zum Album. Wer ist der Betrüger, und warum?
Der Betrug ist vielleicht die einzige Chance. Wir tun dass insofern, als dass wir uns oft in unsere Projektionen flüchten. Wir vermuten sogar, dass dort, in der Unwirklichkeit, mehr Realität verborgen ist als hier. Jede Fantasie und jeder Gedanke braucht Platz und wir zensieren nicht… deswegen schreiben wir uns unsere Welt einfach um. Klingt naiv. Ja, ist es auch.
Was wünscht ihr euch für eure Band für die Zukunft?
Reichtum und einen Sprengstoff-LKW vor dem Nestle Konzernsitz in Frankfurt.
Karten für den Auftritt im Eulenglück gibt es etwa bei der Konzertkasse, weitere Infos ebenfalls im gesonderten Bericht.