Als sich die Türen des Braunschweiger Westands am Sonntag um 12 Uhr zum zweiten Mal für das Sorry-Mom-Tattoofest öffnen, ist die Menge an Besuchern noch überschaubar. Das ist auch gut so, denn viele haben für Punkt 12 Uhr einen Termin bei einem Tätowierer ihrer Wahl gebucht, und müssen diesen in der Halle finden – darunter auch ich.
Tattoos sind für mich nichts Neues. Mein erstes habe ich mir vor 11 Jahren direkt mit 18 Jahren stechen lassen, und seitdem sind noch viele hinzugekommen. Ungewohnt ist für mich aber dennoch einiges: Ich kenne weder den Tätowierer, bei dem ich einen Termin habe, noch habe ich mich je auf einer Messe unter die Nadel gelegt. Ganz ohne Aufregung geht’s also heute nicht.
Die Zeichnung wird auf den Arm übertragen
An der Tür werden ich und die anderen Besucher freundlich begrüßt. 10 Euro für die Tageskarte, ein Bändchen um den Arm, los geht’s. Drinnen haben die Künstler ihre Stände nebeneinander aufgebaut. Viele haben Drucke von ihren Werken dabei, die sie verkaufen. Zeichnungen im jeweiligen Stil der Künstler. Von knallbunt und durchgedreht bis schwarz-weiß und eher traditionell ist alles dabei. Ich laufe durch die zwei Gänge und versuche meinen Tätowierer zu finden – was schlussendlich auch gelingt.
Einen Termin bei ihm habe ich über Instagram vereinbart. Gemeinsam haben wir uns ein Motiv überlegt, eine Skizze habe ich bereits gesehen. Nun zeigt er mir die fertige Zeichnung – die mir sehr gefällt. Also kann’s direkt losgehen. Also: fast direkt. Erst muss „bennibeluga“ seine Zeichnung auf ein „Tattoo-Übertragungspapier“ bringen. Das Thermopapier legt er dann an meinen Arm an und befeuchtet es mit einer Transferflüssigkeit. So wird die Zeichnung auf meinen Arm übertragen – fast wie ein Klebetattoo. Alles hautverträglich und ungefährlich.
Beim Sorry-Mom-Tattofest gibt’s auch ohne Tattoo gute Unterhaltung
Während die Zeichnung auf meinem Arm trocknet, laufe ich eine Runde durch die Halle und schaue in den Innenhof. Draußen steht ein Wagen mit Getränken, außerdem gibt es Essen. Ein DJ legt entspannte Musik auf. Auch wer sich heute kein Tattoo stechen lässt, hat hier also gute Unterhaltung.
Wieder am Platz angekommen, kann es wirklich losgehen. Damit mein Tätowierer gut an die Stelle an meinem Arm kommt, muss ich mich auf den Bauch legen, meinen Arm abgewinkelt auf eine Stütze. Es ist nicht die bequemste Position – aber ich habs auch schon schlimmer erlebt. Um 12.40 Uhr taucht „bennibeluga“ die Nadel an der Tätowiermaschine in die Tattoo-Farbe und zieht die erste Linie. Lesen Sie auch: Braunschweiger Tätowierer brauchen neue Farben
Vom Soziale-Arbeit-Studenten zum Tätowierer
Beim Tätowieren wird die Tattoo-Farbe mit Nadeln unterschiedlicher Stärke bis zu zwei Millimeter tief in die Haut gestochen. Dabei wird durch die oberste Hautschicht (Epidermis) hindurch bis in die darunterliegende Lederhaut (Dermis) gestochen. Diese speichert dann die Farbe. Einige Künstler nutzen dafür einzelne Nadeln, die sie per Hand in die Haut stechen, andere verwenden speziell dafür hergestellt Maschinen. Klingt schmerzhaft – ist es auch.
Und genau das macht „bennibeluga“ jetzt an meinem Arm. Er heißt eigentlich Benjamin Buntrock. Zum Tätowieren ist er durch Zufall gekommen. Er studierte zunächst Soziale Arbeit und arbeitete nebenbei in einer Kneipe. Dort freundete er sich mit einem Tätowierer an. Gezeichnet hat er nebenbei schon immer gerne. Als sein Studium zu stocken begann, nutzte er die Chance, und lernte bei seinem Kumpel. Inzwischen betreiben sie gemeinsam mit einem weiteren Künstler das Tattoo-Studio „Halunken“ in Bielefeld.
Familiäres Feeling auf dem Braunschweiger Sorry-Mom-Tattoofest
Das alles erzählt er mir, während er alle Linien nachzieht, die er auf meinen Arm übertragen hat. Je nach Stelle fühlt sich das mal wie ein leichtes Ziepen an – und manchmal, als würde er ein heißes Messer durch meine Haut ziehen. Nach etwa eineinhalb Stunden sind die Außenlinien fertig.
Wir legen eine kurze Pause ein – und ich schaue mich in der Halle um: Inzwischen ist es voll geworden. Müttern mit Kindern, junge Leute, bis ins Gesicht Tätowierte – unterschiedlichste Menschen laufen an den Ständen vorbei, schauen den Künstlern bei der Arbeit zu, quatschen mit Bekannten. Alles fühlt sich sehr familiär an. Ich fühle mich gut aufgehoben.
Beim Tätowieren fliegt die Zeit
Nach etwa 10 Minuten geht’s weiter. Nun muss Benjamin das Tattoo schattieren. Meine Haut ist durch die Linien schon ziemlich gereizt. Die Schattierungen fühlen sich an, als würde er unergiebig mit etwas sehr Scharfem über meine Haut kratzen.
Zwischendrin bleiben immer wieder Menschen stehen, reden mit Benjamin, kaufen Drucke, fragen, wie es bisher so lief. Er reagiert auf alle, behält seinen Fokus aber auf mir. Fragt mich immer wieder, ob noch alles gut ist, ich eine Pause brauche. Und wir tauschen uns über alles Mögliche aus: die Tattooszene, seine Tattoovorlieben, seine Sicht auf Braunschweig. Die Zeit fliegt nur so, der Schmerz ist durch die Ablenkung sehr gut erträglich.
Fazit: Fürs erste Tattoo zur Messe?
Gegen 15 Uhr ist mein Tattoo fertig. Ich setze mich hin, strecke meinen schmerzenden Arm und Rücken. Benjamin wickelt das Tattoo nun in etwas Frischhaltefolien ein und wir warten ein bisschen ab. So kann noch Blut und Farbe austreten, bevor er das Kunstwerk in meiner Haut abwischt und ein Foto für seine Instagram-Seite macht. Danach klebt er ein Pad auf meinen Arm. Dieses sorgt dafür, dass kein Dreck an die frische Wunde kommt. Außerdem nimmt es weitere austretende Farbe und Blut auf.
300 Euro kostet mich die Kunst, die ich nun für immer mit mir herumtragen werde. Ich gebe ihm das Geld, dann verabschieden wir uns. Für absolute Tattooneulinge würde ich eine Messe nicht uneingeschränkt empfehlen. Zu Beginn hat man noch viele Fragen, der Schmerz ist ungewohnt, die ganze Prozedur anstrengend. Wer schon Tattooerfahrung hat, muss sich von einer Messesituation nicht abschrecken lassen. Ich bin um eine sehr positive Erfahrung reicher.
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