Als Mathias Weidner sich auf die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten der Ostfalia bewirbt, bekommt er eine Absage. Die Begründung: Laut dem Niedersächsischen Hochschulgesetz sollen Gleichstellungsbeauftragte Frauen sein. Und Weidner ist keine Frau. Und auch kein Mann. Weidner ist non-binär, definiert sich also weder als weiblich noch als männlich. Er will im Gleichstellungsbereich weiterkommen, Karriere machen – und klagt mit Verweis auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gegen die Ostfalia. Die Klage wird abgelehnt, doch Weidner will weitermachen, zieht in Betracht, eine Instanz höher zu klagen. Zunächst will Weidner die Urteilsbegründung abwarten, wünscht sich jedoch, dass das Niedersächsische Hochschulgesetz geändert wird. Doch wer ist die Person hinter der Klage? Was treibt sie an?
Weidner wird 1986 in Thüringen geboren, also in der DDR. Mit elf Jahren zieht die Familie nach München. Hier geht Weidner zur Schule, studiert an der LMU München Volkswirtschaft und entscheidet sich 2011, sich in der Unternehmensentwicklung auf Diversity Management zu spezialisieren. Hinzu kommt ein Masterstudium in Soziologie und Gender Studies. Noch während Weidner im Gleichstellungsbüro an der Fakultät für Maschinenwesen der TUM tätig ist, arbeitet Weidner danach als Gender- und Diversity-Manager am Campus Suderburg der Ostfalia, zieht dafür nach Uelzen. Weidner arbeitet derzeit als Berater für Online-Kommunikation.
Braucht man ein einschlägiges Studium?
„Den Auslöser für diese Spezialisierung auf Gleichstellung kann ich ganz klar benennen“, sagt Weidner. „2011 sagte Angela Merkel, dass es eine Geschlechterparität in Führungen der Wirtschaftsunternehmen geben wird – auch mit politischem Druck. Diese Ansage zeigte mir, dass es einen Bedarf in einem Tätigkeitsfeld geben wird, in dem ich mich gut aufgehoben fühlen werde.“ Schon damals sei Weidner klar gewesen, dass man sich als Frau einfach so bewerben könnte. „Ich musste aber ein zugeschriebenes Geschlechtsdefizit ausgleichen – beispielsweise durch ein einschlägiges Studium.“ Die meisten Frauen in dem Bereich hätten kein einschlägiges Studium vorzuweisen. „Dass man einfach so Gleichstellungsbeauftragte werden kann, finde ich fatal“, sagt Weidner.
Allerdings gehöre zur Wahrheit auch, dass Weidner – damals noch als Mann definiert – davon profitierte. „Dadurch, dass ich als Mann gelesen wurde und im Gleichstellungsbereich unterwegs war, habe ich eine unfassbare Bekanntheit erlangt“, sagt Weidner.
Binär? Non-binär? Wer bestimmt Geschlecht?
Bei dem nächsten Karriereschritt, eine Stelle als Gleichstellungsbeauftragte anzutreten, fühlt er sich benachteiligt, rennt hier gegen Wände. Dabei habe das Geschlecht nichts mit der Stelle zu tun. Auch Männer könnten dieses Amt ausführen – oder eben non-binäre Personen. Dafür sieht Weidner sich durch Erfahrung und Studium als überaus geeignet. Weidner ist gebildet und zeigt dies auch gerne. So freut sich Weidner, Platons Höhlengleichnis und Mahatma Gandhi zu zitieren. Auch ein Kurzreferat über Raewyn Connell und hegemoniale Männlichkeit kann Weidner sich nicht verkneifen.
Viele Gedanken machte sich die non-binäre Person über Geschlechtsidentitäten – auch über die eigene. „Dass andere Leute meinen zu wissen, was gut für mich ist, weil sie in mir ein bestimmtes Geschlecht lesen, kotzt mich an. Dass ich non-binär bin, ist eine Absage an dieses System der zwei Geschlechter. Ich würde das System gerne für alle absagen. Und mit meiner Selbstdefinition kann ich das zumindest für mich machen.“ Dieses System absagen? Kann nicht jede und jeder selbst sein Geschlecht definieren? „Anderen ihre Geschlechtsidentität absprechen will ich nicht“, sagt Weidner. „Schaut man aber ganz ehrlich mit Menschen darauf, was von der Selbstdefinition des Geschlechts wirklich identitätsstiftend ist, und was nur ein arrangieren mit der Geschlechterrolle, sieht man schnell, das das Konzept keinen großen Sinn ergibt.“
Das Problem sei, dass kaum jemand non-binär einordnen könne. Wenn man nur zwei Geschlechter kenne, werde in diese alles zwanghaft einsortiert. Auf eine positive Entwicklung, beispielsweise durch die Möglichkeit, dass es mittlerweile offiziell ein drittes Geschlecht eintragen lassen kann, vertraut Weidner nicht. Die Geschichte kenne viele Rückschläge.
Auch in der Freizeit spielt Gender eine Rolle
Doch auch bei Weidner geht es nicht immer nur um Gender-Fragen. Am Wochenende hat Weidner einen Ausgleichsjob bei Lieferando, ist hier auch im Betriebsrat und wurde gerade in die Schwerbehindertenvertretung gewählt. „In diesem Bereich ist es nicht so, dass Nicht-Betroffene die Betroffenen vertreten können. Warum nicht auch im Gleichstellungsbereich“, sagt Weidner.
Ein weiterer Ausgleich sind Live-Action-Role-Plays – Live-Rollenspiele, bei denen die Teilnehmenden eine Spielfigur darstellen und in eine fremde Welt eintauchen. Es wird das gespielt, was im Alltag nicht dargestellt wird. Im Leben kämpfe ich gegen den menschenverachtenden Turbo-Kapitalismus. Im Spiel bin ich ein Mann, ein Waffen- und Sklavenhändler“, sagt Weidner. „Und der Charakter, den ich aktuell bespiele, ist der Inbegriff toxischer Männlichkeit.“ Selbst in der Fantasiewelt spielt Gender wieder eine Rolle. Wenn auch ganz anders als im realen Leben.
Als non-binär bezeichnet man Menschen, die sich nicht oder nicht ausschließlich als männlich oder weiblich definieren, also außerhalb der zweigeteilten Geschlechterordnung stehen.
Toxische Männlichkeit bezeichnet destruktive und gewaltgeprägte männliche Rollenbilder. Diese Normen von Männlichkeit gelten nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer selbst, die diesen entsprechen müssen, als zerstörerisch.
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